Whataboutism: Verwenden oder nicht?

In „5 Scheinargumente“ habe ich ja schon den „Whataboutism“ angeschnitten. Extrem beliebt und sogar Teil des deutschen Wortschatzes. Also nicht als Fachbegriff, das ist ein klassischer Anglizismus (ach?!). Ich meine als rhetorisches Mittel in Diskussionen.

TL;DR:
Whataboutism ist ein Scheinargument dessen Verwendung durchaus positiv sein kann. Übertreib es damit nicht, denn je häufiger die Verwendung, desto schwieriger wird eine zielgerichtete Diskussion.

Meet the Whataboutist

Überleg mal, kennst du einen oder alle Sprüche?

  • „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.“
  • „Wenn du mit einem Finger auf Andere zeigt, weisen 3 auf dich zurück.“
  • „Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch zurück.“
  • „Kehre vor deiner eigenen Tür.“

Garantiert alles schonmal gehört. So oder so ähnlich läuft einem das ja ständig über den Weg.
Manchmal ist es so gemeint, dass man sich um den eigenen Kram kümmern soll. Aber oft ist eine so gestaltete Entgegnung dazu gedacht das Gegenüber zu diskreditieren. Vielmehr dessen Argumente.

Als Beispiel:
„Du solltest vielleicht ein bisschen weniger Süßigkeiten essen, in deiner Familie gibt es viele Fälle von Diabetes.“
Das muss ich mir von einem, der erst vor 10 Minuten ein Snickers gemampft hat, nicht sagen lassen!

Und zack – „entkräftet“.
Wobei. Stimmt das denn?

Einordnung des Whataboutism

Der Whataboutsim, also „die Technik oder Praxis, auf eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage zu antworten oder ein anderes Thema aufzugreifen“ gehört zur Gruppe der Ad Hominem Argumente.

Letzten Endes geht es darum, das Gegenüber zu diskreditieren und damit sozusagen „pauschal“ alle vorgebrachten Argumente abzuschwächen.

Das größte Problem

Das Problem ist dabei jedoch, dass die Diskussion vom eigentlichen Thema abgelenkt wird. Auch die Ebene wird völlig verändert. Von der sachlichen Ebene, die Argumente und Gegenargumente gemeinsam im Dialog zu prüfen, zwingt der Whataboutism die Debatte nun auf die Beziehungsebene.
Kurz:

Weg von:
„Wir finden gemeinsam die Wahrheit heraus bzw. bewegen uns auf diese zu.“
und hin zu
„Du bist doof und hast auch generell Unrecht.“

Dass das schnell zu hitzigen und vor allem nicht zielführenden Diskussionen führt, sollte einleuchten.

Vorteile von Whataboutism

Das Ding mit Whataboutsim ist jedoch, dass er auch etwas Gutes sein kann.
Finden beispielsweise politische Debatten statt und ein Gegenüber weist auf Knackpunkte hin, kann das letzten Endes auch gut sein.
Es können echte Nachteile und Probleme aufgedeckt werden.

So können zum Beispiel die eigene Ignoranz gezeigt oder auch Doppelmoral aufgedeckt werden. Spricht ein US-amerikanischer Politiker über Foltermethoden von anderen Ländern und verurteilt diese scharf, kann per Whataboutism darauf hingewiesen werden, dass sogenannte „erweiterte Verhörmethoden“ exakt dasselbe seien. So kann eben doch gemeinsam auf eine gemeinsame Wahrheit und Wohlfahrt zugesteuert werden.

Nachteile von Whataboutism

Großer Nachteil des Whataboutism ist, dass eine Diskussion über ein bestimmtes Thema schnell abweichen kann. Es wird nicht mehr über die Vorgabe diskutiert sondern über wasauchimmer.

Des Weiteren kann es, je nach Präsentation, dafür sorgen, dass eine Diskussion generell nicht mehr sachlich, sondern persönlich geführt wird. Das hilft ziemlich selten dabei eine „Wahrheit“ auszudiskutieren.

Wenn Whataboutism jetzt überall akzeptiert werden würde, wäre es außerdem unmöglich über ein Thema zu sprechen. Denn vor diesem Scheinargument ist nur der Mensch geschützt, der „perfekt“ ist. Und wer ist das schon. Damit ist aber Haus und Hof offen für das Einfallen vom Whataboutism und dessen Argumente. Wer Fehler macht, kann nicht mehr über ein Thema sprechen, sondern muss sich so lange für andere Themen rechtfertigen, bis Perfektion erreicht ist. Erst dann wird über das Ursprungsthema gesprochen.
So vorzugehen ist einfach realitätsfern.

Also nutzen oder nicht?

Meiner Meinung nach ist Whataboutism ein rhetorisches Mittel, das man eher weniger verwenden sollte. Bzw. nur in gewissen Diskussionen. Eine sachliche Diskussion mit dem Chef oder Mitarbeitenden sollte nicht auf eine persönliche Ebene gezogen werden. Bei Freunden ist das Ganze schon eher okay – man kann besser einschätzen, wo die großen Fettnäppchen stehen.

Das Problem bei diesem Scheinargument ist, denke ich, die Dosis. So, wie zuviel Salz im Essen nicht schmeckt, sind zu viele Kehrtwenden durch Whataboutism in Diskussionen auch „unappetitlich“.
Also: Einfach wenig verwenden und lieber echte Argumente suchen.

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